N O T

 

Neulich bin ich am Meer gestanden,

sah Möwen fortfliegen und landen;

ich hörte ihr zänkisches Kindergeschrei,

doch ich war in Gedanken nicht dabei!

Das Meer - ja - das Meer, was hatte es bloß?

Es schien mir anders, was war mit ihm los?

Sein Atem ging schwerer bei jedem Stoß,

als trage es hart an seinem Los.

Und in jedem Seufzer, im jedem Ach,

klang wie unterdrücktes Weinen schwach.

Ich schloss die Augen und im Möwenkreisch

sah ich Kinder, nackt und dreckig und bleich,

die Wasser aus gelben Pfützen schöpften.

Ich sah Soldaten, die Greise köpften,

und Messer, die grausam blitzten

und schwangere Bäuche aufschlitzten.

Ich sah Augen, die weinten sich leer und leerer,

und der Atem des Meeres ging schwer und schwerer.

Es goss Milliarden von Tränen über den Strand,

doch sie verliefen ungesehen im Sand.

Ich sah bunte Vögel - sie taten mir leid:

sie trugen ein öliges Leichenkleid!

Darüber qualmten Himmel, ein riesiger Schlot,

und das Meer, es keuchte in seiner Not.

Und mit jeder seufzenden Welle

drang wie Flehen an meine Stelle

und weiter und weiter über den Strand hin

nach Hilfe im Kampf gegen Schwachsinn

und Eigensucht, Brutalität und Habgier.

Ich fragte mich: "Kannst du auch dafür?

Du bist doch nur ein Blatt, ein Stein,

kannst du denn mitschuldig sein?"

 

Heut' bin ich am Fluss gesessen,

hatte das Meer schon fast vergessen,

da fiel mir des Wassers Eile auf,

sein hastiger, hurtiger Lauf.

Was hatte es wohl im Sinn,

warum eilte es so hin?

Hatte es ein Rufen vernommen

und wollte zu Hilfe kommen,

dem Meer helfen das Leid zu tragen,

es trösten in seinem hilflosen Klagen?

Ein Fluss, ein Tropfen im riesigen Meer,

ich, ein winziger Strich im Menschenheer,

soll ich auch 'Fluss' sein,

Tropfen auf heißen Stein,

zu helfen der Welten Not tragen,

zu trösten erbärmlicher Kinder Klagen?